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  Von Klinker und Chrom – Bilder mit dem Stativ

VON KLINKER UND CHROM - BILDER MIT DEM STATIV

Architektur und Fotografie in Hamburg um 1930

Begrüßung: Dr. Jörg Schilling
Einführung: Prof. Dr. Burcu Dogramaci
Eröffnungs-Vortrag: Prof. Dr. Gert Kähler

geöffnet bis 20. Juni 2010
dienstags bis sonntags, 11 bis 18 uhr
eintritt zur Eröffnung frei, danach 2,50 / erm. 1,50

Der rasante Wandel gesellschaftlicher Realität in der Weimarer Republik hatte – forciert durch die Hausse der Goldenen Zwanziger – fundamentale Änderungen der Wahrnehmungs- und Betrach-tungsweisen zur Folge. Kulturelle Reformen und soziale Notwendigkeiten forderten eine vor allem im Erscheinungsbild rationalisierte Architektur. Technischer Fortschritt und Experimentierfreude prägten die Kamerakunst und ermöglichten neue Sichtweisen auf das Bauen. Durch den Wettbe-werb der Printmedien erfuhr die Fotografie eine Aufwertung, die sich beispielhaft in den Architek-turzeitschriften zeigte. Aufnahmen aktueller, oftmals auratisch inszenierter Bauwerke wurden kaum noch ohne Urhebernachweis abgedruckt und der Fotograf zum eigenständigen Autor erhoben.

In Hamburg und im angrenzenden Altona setzten die Brüder Dransfeld aber auch Ernst Scheel Maßstäbe in der fotografischen Wahrnehmung des Neuen Bauens. Dazu gesellten sich Namen wie Hans Brack und Emil Puls. Die Dransfelds schufen mit der berühmten Aufnahme des Chilehauses von Fritz Höger eine Ikone moderner Architektur und zeitgenössischer Architektur-fotografie, während Scheel die avantgardistischen Bauten Karl Schneiders mit seiner Kamera in Szene setzte. Eine enge Zusammenarbeit einzelner Bau- und Bildkünstler war charakteristisch.

Eine innovative Luftbild-Technik förderte – konzentriert auf bestimmte Anlagen und Bauten – neue Blickweisen auf die Architektur. Nachtaufnahmen von raffiniert ausgeleuchteten Bauten und Leuchtreklamen bereicherten die Architekturfotografie um ein Sujet. Zu ihren Aufgabengebieten gehörte ebenso die Dokumentation – angefangen bei Aufnahmen von Modellen und Baustellen-bildern, die nach amerikanischem Vorbild den Wuchs moderner Stahlskelettkonstruktionen in Bautagebüchern festhielten. Einzelne Architekten nahmen selber die Kamera in die Hand, um eigene oder vorbildliche Bauten in Fotoalben festzuhalten.

Doch mit der Weltwirtschaftskrise brach der Bausektor ein. Stadtbildprägende Klinker-Blöcke der Wohnungsbau-Genossenschaften kamen kaum noch vor das Stativ. Die Architekten und ihre Foto-grafen konzentrierten sich auf die wenigen exklusiven Aufgaben, die ihnen Bauherren aus der Großindustrie boten. Der technoide Glanz verchromter Heizungsrohre und Sofittenleuchten prägte die Innenaufnahmen von Landhäusern und Verwaltungsbauten. Die soziale und kulturelle Verunsi-cherung bewirkte eine Hinwendung zu verhärteten Formen und bodenständigen Materialien – eine Entwicklung, die in Hamburg weniger ins Auge stach, da der Materialwechsel von freundlich weiß verputzten zu Werkstein-Fassaden aus Granit oder Kalkstein nicht so offensichtlich wie andernorts war. Der Backstein verkörperte in Hamburg von jeher traditionelle Werte und damit Sicherheit sowie Stabilität.

Den Perspektivwechsel um 1930 repräsentieren zwei Bauten, die umfangreich abgelichtet wurden. Während das von Gustav Oelsner bis 1930 erbaute Altonaer Berufschulzentrum (Haus der Jugend) mit einer „ehrlichen“, horizontal akzentuierten Eisenbetonkonstruktion den Weimarer Geist des Neuen Bauens verkörperte, stand das 1931 fertig gestellte Verwaltungsgebäude des Deutsch-nationalen Handlungsgehilfenverbandes für kulturellen Konservatismus und gesellschaftliche Restauration. Seiner Stahlskelettkonstruktion wurde ein völkisch begründetes, in vertikaler Pose geformtes Backsteinkleid übergezogen. Das beschrieb gleichzeitig die architektonische Situation Hamburgs: eine ihrer Macht bewusste, dem politisch rechten Spektrum zuzuordnende Gewerk-schaftsorganisation errichtete das modernste und zugleich höchste Gebäude der Stadt ohne am tradierten Charakter Hamburger Baukunst zu rütteln.
Diesen hatte Baudirektor Fritz Schumacher mit seinen noch in der Kulturreform wurzelnden, der Einheitlichkeit und Regionalität unterworfenen Gestaltungsprinzipien verantwortet. Schwung und Transparenz, radikale Positionen der architektonischen Moderne kamen allenfalls stark zurück-genommen und meist außerhalb Hamburgs – vor allem in Altona – zur Ausführung. Die ansäs-sigen Büros, wie das von Bensel, Kamps & Amsinck oder Elingius & Schramm, stellten sich ge-konnt auf diese Situation ein. In der Monografie des Architekten Hermann Distel hieß es: „Hamburgs Grundcharakter ist konservativ.“ Doch innovative Aufnahmen kontrastreich-plastisch überformter Bauten, bei denen die sachliche Strenge des Neuen Sehens oftmals einen moder-neren Charakter suggerierte, bewiesen: für die Architekturfotografie in Hamburg galt das nicht.

Die Ausstellung wird seltene Originalaufnahmen, Bücher und Fachzeitschriften sowie Modelle und Dokumente mit dem Ziel präsentieren, die komplexe Beziehung von Architektur und Fotografie in Hamburg um 1930 darzustellen.

Die Ausstellung wird gefördert durch die Hermann Reemtsma Stiftung und die Hamburgische Architektenkammer

Konzeption: Prof. Dr. Burcu Dogramaci / Dr. Jörg Schilling
Ausführung: Burcu Dogramaci und Jörg Schilling in Kooperation mit Hans Bunge