Lesung
Moralischer Gewissensdienst oder Propaganda?
SONJA VALENTIN MODERIERT
Audio-Mitschnitt der Veranstaltung
© Leserechte beim S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main
Unter den zahlreichen Reden und Schriften, mit denen Thomas Mann (1875-1955) seine Haltung zu Deutschland und den Deutschen öffentlich bekundet hat, nehmen seine knapp 60 Rundfunkbotschaften aus den Jahren 1940 bis1945 eine besondere Rolle ein. Sie stellen die entschiedensten und kompromisslosesten Äußerungen des Dichters zu Fragen des Zeitgeschehens dar. Er zeigt sich darin als politisch agierender Schriftsteller im Kampf gegen den Faschismus. „Deutsche Hörer!“ lautet der Titel der Sendungen, zu denen die BBC den weltberühmten Schriftsteller und Nobelpreisträger 1940 eingeladen hatte und die sie über den Deutschen Dienst meist regelmäßig einmal monatlich ausstrahlte.
In den fünf- bis achtminütigen, pointiert formulierten Reden kommentierte Thomas Mann das aktuelle Kriegsgeschehen, attackierte die Lügenpropaganda Goebbels‘ und klärte seine Hörer über die Verbrechen der Nationalsozialisten auf.
Kaum ein rhetorisches Mittel ließ er aus, um seine Hörer wachzurütteln und sie über die wahre Natur ihrer Führer – „die fluchbeladene Schinderbande der Nazis“ – aufzuklären.
Mit flammenden Plädoyers drängte er auf eine deutsche Selbstbefreiung, eine „demokratische Revolution von innen“. Ihm lag daran, wenigstens den Kampfeswillen der Deutschen für das NS-Regime zu mindern, um damit den Alliierten den Sieg zu erleichtern.
Für Thomas Mann waren die BBC-Reden in erster Linie ein moralischer „Gewissensdienst“, ein Ausdruck seiner Überzeugung, dass es einem Schriftsteller seines Ranges nicht gestattet sei, die Politik von der Kunst zu trennen und die Beschäftigung mit ihr zu verweigern.
Der Schauspieler Burghart Klaußner – wie Thomas Mann Mitglied und Träger der Plakette Freien Akademie der Künste – wird aus den Radioansprachen lesen und mit der Dramaturgin Sonja Valentin, die über Thomas Mann promoviert wurde, auch die brandaktuelle Frage politischer Einmischung von Künstlern und Intellektuellen in Kriegs- und Krisenzeiten erörtern.