Scroll Top
  Peggy Parnass verstorben

Nachruf auf Peggy parnass

´N Ich hat irgendwie jeder, und das ist auch gar nicht so ungewaltig.
Wenn es die Augen zuklappt,
geht die Erde unter,
sind die Sterne aus.
PETER RÜHMKORF (aus: „Phönix voran“)

PEGGY AUF DEM PARNASS – so reagierte Niels-Peter Rudolph, ebenfalls Mitglied der Akademie, als er vom Tod der Autorin Peggy Parnass erfuhr, wobei Autorin nur eine sehr unzureichende Berufsbezeichnung für diese außergewöhnliche Persönlichkeit ist. Vielleicht verkörperte sie in vollendeter Weise das Ideal von Zeitgenossenschaft (nicht nur Akademiezugehörigkeit), als ζώον πολιτικόν, wie es die Griechen nannten, Voraussetzung gesellschaftlichen, politischen Lebens überhaupt. Das war natürlich verknüpft mit ihrem Leben und ihren Lebenserfahrungen, also nichts, was man quasi behaupten oder wofür man sich entscheiden kann. Sie höchstens nichtbeachten. Oder verdrängen. Grundlage ist in jedem Fall eine Erfahrung oder die Bedingungen einer Existenz, die bestimmte Entscheidungen zur Folge haben. Im Falle von Peggy Parnass äußerst schmerzliche. Das Bewundernswerte an dieser außergewöhnlichen Person war, daß sich das Erlebte nicht in Verbitterung, Verachtung oder irgendein Ressentiment umsetzte, sondern in praktische, konkrete, aktive Haltung, nicht nur die Ursachen für ihr eigenes Schicksal zu benennen, sondern für ein freies, offenes, demokratisches, vorurteilsfreies gesellschaftliches Zusammenleben zu kämpfen. Und aufzunehmen, was um sie herum geschah. Kaum eine Theaterpremiere, keine kulturelle Veranstaltung, bei der man ihren roten Haarschopf nicht entdecken konnte. Sie nahm teil, war Teil. „Peggy ist Hamburg, und Hamburg ist Peggy“, so der Landesrabbiner Shlomo Bistritzky bei der Trauerfeier, aber was wie eine lokale Anekdote klingt, hat einen gewichtigen politischen Kern. Daß eine Jüdin, von den Nazis vertrieben, durch glückliche Umstände vor dem Schicksal ihrer Eltern bewahrt, die in Treblinka ermordet wurden, in ihre Heimat zurückkehrt, ist durchaus nicht selbstverständlich. So hat sie die jüdische Geschichte in Hamburg persönlich durchlebt. Und ebensowenig selbstverständlich ist, daß sie ihre Begabung, ihre Talente, ihre Neugier, ihre Energie und ihr sowohl politisches wie (mit-) menschliches Engagement mit all ihrer Leidenschaft, ihrer Kraft und ihrem Mut für die Bewahrung und Weiterentwicklung des gesellschaftlichen Lebens einsetzte. Für all dies gibt es nur eine Klassifizierung: bewundernswert. Als Prozeßbeobachterin, jahrelang: nicht auf der Suche nach Gesellschafts-skandalen, sondern auf den Spuren des gesellschaftlichen, sozialen Mikrokosmos – mit einer entscheidenden Ausnahme: sie nimmt die Vernachlässigung (oder Gleichgültigkeit) der juristischen Aufarbeitung der Nazivergangenheit sehr wohl zur Kenntnis und benennt sie; sie kämpft gegen gesellschaftliche Unterdrückung und wurde so z. B. zu einer Ikone der Schwulenbewegung. All dies geschah nicht isoliert, besserwisserisch, sondern teilnehmend, immer verankert in den sozialen Milieus. Eine erstaunliche, eine bewundernswerte Frau. Uli Waller hat völlig recht, wenn er die versäumte Ernennung zur Ehrenbürgerin Hamburgs kritisiert. Umkehr: bei aller Bewunderung für diese außergewöhnliche Person: Eigentlich stoßen wir hier zum Kern des Lebens einer Demokratie vor, zu ihrer Grundvoraussetzung: in der jeder Einzelne ihren Geist und ihre Erfordernisse durchsetzen und aktiv für sie eintreten sollte. Eigentlich tat sie nur das Selbstverständliche. Daß wir das so bewundernd hervorheben, verweist auf die Mängel unserer eigenen politischen Verfasstheit. Dies ist das Beispiel, das sie uns hinterläßt. Sie brachte die Welt zum Leuchten. Uns bleiben die Nachrufe. Einer schöner als der andere.
mpr